Kreisauer Begegnungen

Seit über einem Jahrzehnt führt das HSG Begegnungs- und Gedenkstättenfahrten nach Kreisau/Polen durch, anfangs zusammen mit einer Partnerschule in Leszno, seit 2016 auch trinational mit einer weiteren Schule in Odessa/Ukraine. Die Themen reichen vom NS-Widerstand und dem Holocaust über die Aussöhnung zwischen den Nationen bis hin zur partnerschaftlichen Zusammenarbeit im Rahmen der Europäischen Union.

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Diese Schulpartnerschaft wird durch das Deutsch-Polnische Jugendwerk unterstützt.

Aus der Vergangenheit für die Zukunft lernen…

Vor den bloßen Gedanken hat der Nationalsozialismus eine solche Angst, dass er alles, was damit infiziert ist, ausrotten will. Wenn das nicht ein Kompliment ist. Wir werden gehenkt, weil wir zusammen gedacht haben!“ schrieb Helmuth James von Moltke am 10. Januar 1945 an seine Frau Freya, die sich zu der Zeit auf dem gemeinsamen Gut in Kreisau im heute polnischen Niederschlesien befand.

Im Oktober 2017 trafen sich acht polnische, fünzehn ukrainische und fünfzehn deutsche Schüler auf genau jenem Gut, das heute eine Internationale Jugendbegegnungsstätte ist. Die Gedanken, die dem so genannten Kreisauer Kreis und ihrem bekanntesten Vertreter Helmuth James von Moltke damals zum Verhängnis wurden und die in den dunkelsten Jahren der deutschen Geschichte im Berghaus unweit des Gutes gedacht worden sind, waren über 70 Jahre danach wieder Gegenstand einer Briefelesung in genau jenem Berghaus. Die Jugendlichen der drei Schulen in Leszno/Polen, Odessa/Ukraine und Kaiserslautern setzten sich gemeinsam mit der Familien- und Gutsgeschichte auseinander und untersuchten den Widerstand gegen das NS-Regime in Workshops. Darüber hinaus wurde die Judenverfolgung im Dritten Reich thematisiert. Ein gemeinsamer Besuch des Konzentrationslagers Groß-Rosen machte den Holocaust in seiner ganzen Brutalität greifbar. An eine Filmdokumentation schloss sich der Besuch einer Dauerausstellung und eine Führung über das Gelände des Lagers an, dessen Ziel „Vernichtung durch Arbeit“ etwa 40.000 Menschen zum Opfer fielen.

Um die nachdenklichen Mienen der Jugendlichen wieder etwas aufzuhellen, kam der Besuch der ehemals deutschen Stadt Breslau (Polnisch: Wrocław) direkt im Anschluss an den Besuch der KZ-Gedenkstätte gerade recht. Einer spielerischen Entdeckungstour im Stil einer städtischen Schnitzeljagd folgte das obligatorische Shopping. Breslau, das wie keine andere Stadt das oftmals schwierige Verhältnis zwischen Deutschen und Polen versinnbildlicht, zählte sicher zu den Highlights der Woche.

Ein weiteres Ziel der Begegnungsfahrt war Schweidnitz mit seiner Friedenskirche, die als größte komplett aus Holz errichtete Fachwerkkirche in Europa auf der Weltkulturerbe-Liste der UNESCO steht. Selbstverständlich bot auch Schweidnitz die Gelegenheit zum Shoppen. Gegen Ende der Woche war ein Besuch der Freilichtausstellung „Mut und Versöhnung“ in Kreisau, die vor wenigen Jahren erst eröffnet wurde, Gegenstand eines Geschichts-Workshops. Hier wurde die ganze Tragödie des zweiten Weltkrieges und all seiner Folgen greifbar, besonders aber die Schwierigkeiten des deutsch-polnischen Aussöhnungsprozesses.

Im Gedächtnis an den ehemaligen Gutsherren besuchte die trinationale Gruppe noch den unweit der Begegnungsstätte gelegenen Kapellenberg mit der Grabkapelle Helmuth James von Moltkes und seiner Frau sowie dem Familienfriedhof der Familie Moltke.

Beim gemeinsamen Grillen, aber auch bei den Workshops mit Sprachspielen und den gegenseitigen Vorstellungen des eigenen Heimatlandes entwickelten die Jugendlichen während einer aufschluss- und erkenntnisreichen Woche ein Gefühl für die Befindlichkeiten der jeweils anderen Nationen. Vor allem aber wurden viele Gemeinsamkeiten sichtbar. Nicht zuletzt entstanden auch Freundschaften, die über die Begegnungswoche hinaus Bestand haben. Das völkerverbindende Element unserer Begegnungsfahrt ist sicherlich der größte Gewinn in einem Umfeld wachsender politischer Unsicherheiten.

Dr. Norbert Herhammer